Hamburg von oben – Ein historischer Rundflug
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Die Corona-Pandemie verändert unseren Alltag – auch den im Museum. Der Ausstellungsbetrieb ist durch die erneute Schließung zum Erliegen gekommen. In die Ausstellungsräume ist Stille eingekehrt. Doch dieser Eindruck täuscht: Hinter den Kulissen geht die Museumsarbeit rege weiter. Das Archäologische Museum Hamburg bereitet zurzeit die nächste große Sonderausstellung vor: „Burgen in Hamburg – Eine Spurensuche“. Die Ausstellung befasst sich mit den Burgen und Befestigungsanlagen des Mittelalters in Hamburg, von denen es zahlreiche gab. Im Mittelpunkt wird die Neue Burg in der Hamburger Altstadt stehen. Mehrere Grabungen während der letzten Jahre haben es ermöglicht, neue Erkenntnisse zu Aufbau und Gestaltung der Ringwall-Anlage zu gewinnen, die nun in die Ausstellung einfließen werden.
Ein Fundstück beschäftigt die Museumsmitarbeiter bei ihren Vorbereitungen schon jetzt ganz besonders: Ein frühmittelalterliches Schwert, das in der Nähe von Stade bei Baggerarbeiten in der Elbe entdeckt wurde und nun eine Rolle in der kommenden Ausstellung spielen soll. Frühmittelalterliche Schwerter waren echte Kunstwerke und wurden schon von Zeitgenossen mythisch verklärt. Sie kommen immer wieder in Seen und Flüssen zutage, und Archäologen gehen davon aus, dass es sich dabei um rituelle Niederlegungen handelt.
Das Schwert aus Stade mit seinem sogenannten Paranussknauf war im 11. Jahrhundert fester Bestandteil der militärischen Ausrüstung. Nach neuesten Forschungserkenntnissen könnten Schwerter dieses Typs bereits 845 im Kampf um die Hammaburg zum Einsatz gekommen sein. Als die Archäologen es 1922 in den Besitz des Museums übernahmen, war es stark verrostet, die Spitze und ein Teil der Kreuzstange fehlten. Nun ist es von einem Experten aufwendig rekonstruiert worden und soll anschließend – exakt nachgeschmiedet als Replik – glänzend und mit kunstvoller Klingeninschrift in der Ausstellung präsentiert werden.
Schwerter begleiten Menschen schon seit Jahrtausenden – als Waffe, Grabbeigabe oder Prestigeobjekt. Sie spielten auch eine wichtige Rolle im Leben der frühen Siedler Hamburgs, die sich manches Mal wehrhaft zeigen mussten. Die komplexe Herstellung eines Schwertes ist von jeher mit einer geheimnisvollen Aura umgeben, und in Sagen und Legenden spielen Schwerter wie „Excalibur“, das Schwert des sagenhaften Königs Artus, oftmals eine tragende Rolle. Schwerter sind aber auch bedeutsame kulturhistorische Zeugnisse.
Das Stader Schwert aus der Elbe ist ein Einzelfund, zu dem den Archäologen leider kein genauerer Befundzusammenhang vorliegt. Daher können sie keinerlei Aussagen dazu machen, wer es einst getragen hat und wie es an den Fundort gelangt ist. Dennoch erzählt auch ein solcher Fund noch tausend Jahre später eine Geschichte, wenn er in die Hände eines Experten kommt.
Begonnen hat es mit der Frage, wie das Schwert, von dem 1000 Jahre später nur noch der korrodierte Kern erhalten geblieben ist, ursprünglich ausgesehen hat. In den vergangenen Jahren hat die Forschung etliche neue Erkenntnisse zu Datierung, Formgebung, Herstellung und Verwendung von Schwertern erbracht. Der Illustrator und Spezialist für historische Kampfkunst, Roland Warzecha, ging gemeinsam mit dem Archäologischen Museum Hamburg der Geschichte des Schwertes auf die Spur. Auch wenn es nicht mehr vollständig erhalten ist, kann der Experte anhand von Vergleichen mit ähnlichen Schwertfunden vieles rekonstruieren. Aus den Forschungen eines schwedischen Schwertexperten ist zum Beispiel bekannt, dass die Klingenlänge dieses Schwerttyps immer das Sechs- bis Siebenfache der Grifflänge betragen hat.
Die Inschrift der Klinge gibt eine ganz besondere Information über den damaligen Eigentümer des Schwertes preis: Offensichtlich waren weder der Schmied noch der spätere Besitzer des Schwertes des Lesens kundig, denn die Klinge ziert beidseitig eine sogenannte Pseudoinschrift aus buchstabenartigen Eiseneinlagen, vermutlich eine Verballhornung des weit verbreiteten +INNOMINEDOMINI+, also „Im Namen des Herrn“. Durch Klingeninschrift und Formgebung der Waffe vergewisserte sich der Kämpfer somit des göttlichen Beistands.
Das Wichtigste an einem Schwert ist aber, dass es den Anforderungen im Gefecht genügt und dabei gut in der Hand liegt. Daher ist der Knauf des Schwertgriffes ein wesentlicher Bestandteil und nicht ein bloßes Zierwerk am Ende der Waffe. Nur wenn der Knauf mitgegriffen wird, kann die Waffe vollständig nach vorne gestreckt und ihre Reichweite entsprechend genutzt werden. Weil die greifende Hand aber nicht symmetrisch ist, wurden typischerweise kleine Abstriche bei der Idealform gemacht, um die Funktionalität zu verbessern. Ein Schwertknauf ist nahezu immer um wenige Grad verdreht und häufig verschoben montiert, um einerseits dem Ring- und kleinen Finger ein optimales Auflager zu bieten und andererseits zu verhindern, dass der Daumenballen durch Druck gegen die Knaufseite die Klinge verkantet.
Solcherlei ergonomische Feinjustierungen, wie man sie von modernen Waffen und Geräten für den Profisport kennt, zeigen, dass für den historischen Schwertkampf Präzision und Kontrolle maßgeblich waren, die man sich nur in jahrelangem Training aneignen konnte. Beschreibungen der Kampfesweisen des 10./11. Jahrhunderts, also der Zeit, aus der das Stader Schwert stammt, gibt es leider nicht. Aber eine Vielzahl von sogenannten Fechtbüchern dokumentieren ab etwa 1340 die hochentwickelten Kampfkünste des Mittelalters.
Übrigens kann man anhand eines verdrehten Schwertknaufs (üblicherweise um 2°–7°) sagen, ob das Schwert von einem Links- oder Rechtshänder geführt wurde: Ist der Knauf von oben betrachtet gegen den Uhrzeigersinn verdreht, dann ist die Waffe für rechtshändigen Gebrauch ausgelegt. Für Linkshänder ist es genau umgekehrt.
Archäologische Funde können also überraschende Informationen bereithalten. Die spannenden Details werden ab November 2021 in der neuen Ausstellung „Burgen in Hamburg – Eine Spurensuche“ zu sehen sein!
Pressereferentin des AMH