Hamburg von oben – Ein historischer Rundflug
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Wir Ehrenamtlichen der AG Praktische Archäologie werden bei Pflegearbeiten an unseren Patengräbern des Öfteren von Spaziergängern und Wanderern angesprochen. So fragte uns neulich ein Spaziergänger, was denn das für „merkwürdige Löcher“ wären, die er kürzlich in einem großen Findling gesehen hätte. Er beschrieb diese als klein, rechteckig und mit den schmalen Seiten aneinandergereiht auf der Oberseite des Steines. Sie sind ihm auch schon bei einem anderen Findling aufgefallen.
Findlinge mit diesen Merkmalen findet man häufiger in Norddeutschland. Wenn man genau hinschaut, kann man sie in unseren Wäldern und an Acker- oder Straßenrändern entdecken. Kleinere Exemplare dienen in ländlichen Gebieten oft auch als Grenzmarkierungen von Grundstücken oder Hofeinfahrten. Doch was hat das mit den Löchern auf sich? Wie kommen sie in die Steine? Und vor allem warum?
Die Natur gab den Menschen zu Beginn schon fertiges Baumaterial vor. Dies waren z. B. durch Witterung gespaltene Findlinge. Wasser, das in natürliche Spalten und Risse der Steine eindringt, wird bei Frost zu Eis. Das Eis dehnt sich in den Rissen aus und presst die gegenüberliegenden Seiten auseinander. Dieser Prozess der Spaltung, auch Frostsprengung genannt, dauert allerdings je nach Gesteinsart Jahrzehnte, Jahrhunderte oder gar Jahrtausende.
Die Menschen der Steinzeit haben diese von der Natur vorgefertigten Steine u. a. zum Bau ihrer Großsteingräber benutzt, in denen sie ihre Verstorbenen bestatteten. Später schauten sie sich den natürlichen Spaltungsprozess durch genaue Beobachtungen ab und lernten so maßgerechte Steine herzustellen. In vorhandenen Spalten schlugen sie schmale, trockene Holzkeile hinein und übergossen alles anschließend mit Wasser. Der Druck des aufquellenden Holzes übertrug sich wie bei der Eisbildung auf den gesamten Stein. In den größer werdenden Spalten wurde der Holzkeil dann entweder weiter hineingetrieben oder durch einen längeren und dickeren Keil ersetzt.
Der Spaltungsprozess durch Holzkeile wurde im Lauf der Jahrhunderte durch den Einsatz von Metallkeilen immens beschleunigt. Diese Keile konnten tiefer und schneller in den Stein geschlagen werden. Man war nun nicht mehr auf natürlich vorkommende Spalten und Risse im Stein angewiesen, sondern stellte mithilfe von Meißel oder Stichel die passenden rechteckigen Löcher für die Keilspitzen selbst her.
Aus der Steinproduktion heraus entstanden neue Handwerksberufe wie Steinschläger und Steinmetze. Die Aufgabe der Steinschläger war es, den großen Findling in kleinere, gut transportierbare Stücke zu spalten. Nach eingehender Begutachtung wählten sie je nach Form, Größe und Gesteinsart die Linien aus, an denen sich die Steine am besten teilen ließen. Entlang dieser Linien trieben sie zuerst die rechteckigen Keillöcher für die Metallkeile ein.
Ein oder zwei Steinhauer schlugen nun abwechselnd entlang der Linien auf die Keile. Sie achteten stets darauf, nie mehrmals hintereinander auf denselben Keil zu schlagen, damit sich der Druck im Stein ganz gleichmäßig verteilen konnte. Dies garantierte eine saubere Sprengung an der gewünschten Stelle.
Im 18. und 19. Jahrhundert wurden durch den Bauboom die Findlinge knapp, so dass man auf der Suche nach geeignetem Material leider auch nicht vor den Deck- und Trägersteinen der Großsteingräber Halt machte. Mit Pferden wurden die Gräber auseinandergerissen und die Findlinge noch an Ort und Stelle wie oben beschrieben gesprengt. Aber nicht jede Sprengung klappte wie geplant. Gesteinseinschlüsse oder andere geologische Störungen im Inneren ließen den Stein gelegentlich auch einer nicht vorgesehenen Stelle brechen.
Ein sehr schönes Beispiel für eine missglückte Sprengung ist der heute schiefliegende Deckstein des jungsteinzeitlichen Großsteingrabes in Emsen-Langenrehm. An ihm kann man deutlich erkennen, dass dort Stücke abgespalten wurden. Weitere Sprengungen waren geplant, wurden dann allerdings nicht mehr durchgeführt, sichtbar an den verbliebenen Lochreihen längst des Steins. Vermutlich glaubten die Steinhauer, dass sich eine Fortführung ihrer harten, anstrengenden Arbeit hier nicht mehr lohnen würde. Zum Glück, können wir heute nur sagen. Denn durch den „Widerstand“ des Decksteines ist uns ein wichtiges Zeugnis aus einer lang zurückliegenden Zeit erhalten geblieben, wenn nun auch mit Keillöchern verziert.
Ehrenamtliche der AG Praktische Archäologie