Hamburg von oben – Ein historischer Rundflug
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Vor gut zwei Jahren sitze ich vergnügt auf dem 1. Norden-Festival in Schleswig und fertige bei Sonne und Musik schnelle Porträts von den Besuchern an, während meine Familie die Attraktionen abwandert. Die Einladung zu dieser Veranstaltung erweist sich als mehrfacher Glücksgriff. Neben dem Einklang aus Freizeitvergnügen und künstlerischer Betätigung kann ich meine Anwesenheit vor Ort nutzen, um weitere Recherchen für mein Graphic Novel-Projekt „Hammaburg“ zu betreiben.
Denn direkt neben Schleswig liegt Haithabu, das bekannte historische Handelszentrum der Wikinger. Heute befindet sich hier das Wikinger-Museum mit seiner rekonstruierten Siedlung. Hier konnte ich viel für meinen Comic über das Leben der Wikinger in Erfahrung bringen. Denn den Wikingern kommt ja in der „Phase Hammaburg“, die ich grafisch beschreibe, eine zentrale Bedeutung zu. Sie sind der Grund, warum der fränkische Kaiser Ludwig der Fromme 834 den erfahrenen Missionar Ansgar in die Hammaburg schickte, um die Christianisierung des Nordens voranzutreiben. Die Hoffnung damals war, dass mit flächendeckender Bekehrung auch mehr Ruhe in den unsicheren Grenzregionen einziehen würde.
Solch leichtes Spiel habe ich in der Vorbereitungsphase nicht immer. Die anfängliche Intention ist, meine Begeisterung für Geschichte und die zeichnerische Leidenschaft zusammenzuführen. Damit das Ganze zeitlich nicht ausufert, ist ein eng gestecktes Thema mit kurzen Laufwegen und der Expertise vor Ort in Hamburg (hier in Form des Archäologischen Museums Hamburg) sinnvoll. Das Thema „Hammaburg“ scheint diese Bedingungen auf den ersten Blick zu erfüllen. Doch das einleitende Gespräch mit dem Direktor des Museums, Prof. Dr. Rainer-Maria Weiss, und die beginnende Literaturrecherche machen vor allen Dingen eins klar: Schnell wird hier nur der Abschied von der Idee mit den kurzen Laufwegen und einem überschaubaren Zeitrahmen sein. Das Projekt wird am Ende drei Jahre dauern.
Denn eine richtige Einordnung des historischen Geschehens erfordert umfangreiche Vorkenntnisse über das Fränkische Reich, die Sachsen und die Wikinger. Mir wird bereits in der Anfangsphase schnell klar, dass Besuche in den entsprechenden Hamburger Institutionen, wie zum Beispiel das Archäologische Museum Hamburg, den Stein erst so richtig ins Rollen bringen werden.
Entscheidungen, die bezüglich der Hammaburg damals fielen, sind letztendlich nicht nur eine regionale Gegebenheit, sondern ein Spiegel der frühmittelalterlichen Entwicklung Mittel- und Nordeuropas. Die Folge ist, dass ich weitaus umfassender weitere Orte für die grafische Erzählung berücksichtigen muss, als ich es vorher geplant habe.
So wurde das Schicksal Hammaburgs vermutlich von einer der Kaiserpfalzen in Aachen oder Ingelheim bestimmt. Der Missionar Ansgar machte sich wahrscheinlich vom Kloster Corvey zu seinem künftigen Arbeitsort auf, was für mich natürlich ein Trip nach Westfalen bedeutet. Denn gerade die baulichen Gegebenheiten der damaligen Zeit lassen sich am besten vor Ort herausfinden.
Wie sah die Landschaft damals wohl aus? Ab ins Eppendorfer Moor. Plötzlich nimmt das Projekt sogar Einfluss auf die familiären Urlaubsreisen. Wenn wir an die Mecklenburger Seenplatte fahren, ist der Abstecher an die nachgebaute Slawen-Holzburg in Groß Raden obligatorisch. In Oslo werden wir uns natürlich die Original-Wikingerschiffe ansehen und auf der dänischen Insel Bornholm gibt es das „Middelaltercenter“, dass nicht nur den animierten Grafiken der Hammaburg ähnlich sieht, sondern wo auch vor Ort Reenactmentgruppen sehr detailgetreu frühmittelalterliches Leben nachstellen.
Der Hunger des Comiczeichners nach Anschauungsmaterial ist unersättlich, denn er muss ja nicht nur über das Leben von damals schreiben, sondern es auch in unzähligen Perspektiven grafisch aufzeigen. Letztendlich ist es wohl der eigentliche Spagat bei einem solchen Comic, neben der historischen Genauigkeit und dem zeichnerischen Aufwand von ca. 100 Seiten auch noch eine schlüssige und unterhaltsame Erzählung zu entwickeln und sich stilistisch dem Thema anzupassen.
Ich entscheide mich für eine sehr natürliche, fast rohe grafische Mixtur aus schwarzem Tuschestift und Bleistift, welche ich sehr passend für das naturnahe, aber auch harte damalige Leben halte. Zudem gebe ich zu, dass diese Gestaltungsform mir bei einigen Unsicherheiten sehr in die Karten spielt. Bei einer vollfarbigen Gestaltung hätte ich spätestens bei der Abbildung der Kleidung Probleme bekommen. In einer akzeptablen Zeitspanne wären die frühmittelalterlichen Farbtöne für mich kaum rezipierbar gewesen. Denn zusätzliche Zeitfenster werden bei diesem Projekt immer wieder benötigt.
Durch den weitest gehenden Verzicht auf die comictypischen Kästchen (Panels genannt) verfolge ich eine Erzählform, in der die Szenen in einem abgestimmten Seitenlayout ineinander verschmelzen. Daraus soll sich ein Effekt ergeben, der an bekannte mittelalterliche Darstellungen wie den fast 1000 Jahre alten Wandteppich von Bayeux erinnert, der nicht umsonst als der erste Comicstrip der Welt gilt. Wenn ich mich also für eine derartige Darstellungsform entscheide und nicht nur einfach Kästchen hintereinander vollzeichne, bedeutet das erneuter zusätzlicher Planungsaufwand in der Seitenarchitektur. Die Lesbarkeit darf ja nicht beeinträchtigt werden.
Zusammenfassend kann ich behaupten, dass es sich bei einem Historiencomic um eine langwierige multidisziplinäre Angelegenheit handelt, wenn am Ende alles passen soll. Während ich diesen Bericht schreibe, ist die Druckvorlage beim Verlag abgegeben und ich freue mich nicht nur auf das fertige Buch, sondern genieße die Wartezeit als kreative Pause.
Obwohl… war da im Posteingang heute Morgen nicht eine Illustrationsanfrage dabei?
Autor, Comic-Zeichner und Karikaturist
Die Graphic Novel „Hammaburg“ ist im Ellert & Richter Verlag erschienen (ISBN 978-3-8319-0781-6) zum Preis von 16,95 Euro. Sie kann im Buchhandel, aber auch im Museumsshop des AMH sowie im Webshop erworben werden.