Hamburg von oben – Ein historischer Rundflug
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Über zehn Jahre ist es inzwischen her, dass die Hamburger Kulturbehörde ein Projekt zur digitalen Inventarisierung der Sammlungsbestände an den ehemals staatlichen Museen der Stadt ins Leben gerufen hat. Dieses Projekt läuft mit kleinen Unterbrechungen bis heute. Das Archäologische Museum Hamburg (AMH) war von Anfang an dabei, und es ist seitdem viel passiert.
Als Ende 2007 der Startschuss fiel, waren wir gerade mit unserer gesamten archäologischen Sammlung umgezogen und hatten dafür erstmals eine kleine computergestützte Datenbank selbst entwickelt. Aber eigentlich arbeiteten wir in unseren Depots noch ganz überwiegend analog: Alle Objekte wurden handschriftlich in Inventarbüchern und gelegentlich zusätzlich auf Karteikarten verzeichnet und dabei mit sogenannten Inventarnummern versehen. Nur so kann jedes Stück nämlich später wiedergefunden und den zugehörigen Informationen, z. B. über seine Herkunft, zugeordnet werden.
Gerade die ganz alten Notizen sind teilweise kleine Kunstwerke, sorgfältig mit Tinte in Sütterlin geschrieben und mit Zeichnungen versehen, teilweise aber auch kaum lesbar – und eine Suche nach beliebigen Begriffen, wie wir sie heutzutage ganz selbstverständlich von Google & Co. gewohnt sind, ist damit natürlich nicht möglich.
Mit dem neuen Projekt bot sich uns nun also die Chance, den ganzen Sammlungsbestand in einer professionellen Datenbank recherchierbar zu machen. Allerdings: Das war erst einmal leichter gesagt als getan. Denn eine Datenbank von der Stange, mit der insbesondere die archäologischen Funde aus dem AMH angemessen erfasst werden konnten, gab es noch gar nicht. Somit bestand unsere erste Aufgabe darin, gemeinsam mit unserem damaligen Partner digiCULT eine geeignete Datenbank zu entwickeln.
Für diese Entwicklung stießen zunächst einmal fremde Welten aufeinander, nämlich Geisteswissenschaftler auf Informatiker. In Erinnerung bleiben stundenlange intensive und spannende Gespräche bei dem Versuch, sich gegenseitig zu verstehen. Was sind Fundorte, Fundplätze oder Befunde, und wie verhalten sie sich zueinander? Handelt es sich um 1:1- oder 1:n-Verbindungen? Welche Merkmale müssen erfasst werden? Und ist dafür ein Einfach- oder ein Mehrfachfeld notwendig? Ein Freitext- oder ein Vokabularfeld?
Es waren aufregende Monate, in denen beide Seiten bereit waren, viel voneinander zu lernen. Nicht zuletzt mussten wir Geisteswissenschaftler uns von der Vorstellung lösen, jedes Objekt bestmöglich in seiner ganzen Individualität beschreiben zu wollen, und verstehen, wie wichtig bei der Arbeit mit Datenbanken normierte Eingaben sind. Aber eine „Kegelhalsterrine“ (eine vorgeschichtliche Gefäßform) lässt sich eben beispielsweise nur wiederfinden, wenn sie auch so eingegeben wurde – und nicht etwa als „Urne“, „Tongefäß“, „Keramik“ oder „Kegelhalsterriene“.
Um die geeigneten Begriffe für die Inventarisierung vorzugeben, mussten entsprechende Wortlisten erarbeitet werden.
Während also die technischen Voraussetzungen für eine digitale Erfassung an anderer Stelle geschaffen wurden, entwickelten wir im AMH auf der Grundlage von in anderen Museen bereits vorhandenen Vokabularen eigene Listen, die einigen Eingabefeldern hinterlegt werden sollten. Natürlich konnten diese auf die Schnelle erstellten Listen zunächst nur ein unvollständiges Hilfsmittel sein, um möglichst zügig loslegen zu können. Zum Glück haben sie sich in der Praxis aber bewährt – bis heute erfassen wir mit diesen ersten, nur wenig erweiterten Listen unsere archäologischen Funde.
Irgendwann würden wir diese Wortlisten aber schon gerne gegen echte Thesauri austauschen. Thesauri sind quasi die Königsdisziplin der normierten Vokabulare. Sie verknüpfen die enthaltenen Begriffe in einer hierarchischen Struktur miteinander, führen synonyme Bezeichnungen mit und liefern im Idealfall noch weiterführende Informationen zu jedem einzelnen Begriff. Wie ein solcher Thesaurus aussehen kann, zeigen – ganz analog in gedruckter Form – die „Bestimmungsbücher Archäologie“. Sie werden seit Jahren mit großem Erfolg von der überregionalen AG ARCHÄOLOGIETHESAURUS erarbeitet, einer Gruppe, die im Zuge der Datenbankentwicklung für das AMH in unserem Museum gegründet wurde.
Irgendwann war die Datenbank dann tatsächlich fertig, und wir konnten mit der Erfassung der Sammlungsbestände loslegen. Damit begann die Arbeit aber eigentlich erst richtig. Denn eine Datenbank kann natürlich nur diejenigen Informationen ausspucken, mit denen sie vorher gefüttert worden ist. Bei der Digitalisierung der teilweise jahrtausendealten archäologischen Objekte ist nun unser fachkundiges Inventarisierungsteam gefragt. Schließlich haben unsere Vorfahren uns im Laufe der Zeit ganz unterschiedliche, überwiegend ziemlich individuelle, wenig genormte und zudem vielfach unvollständige Einzelstücke hinterlassen, die jedes für sich beurteilt, bestimmt und nach den festgelegten Kriterien erfasst werden müssen.
Fotos der besonders aussagekräftigen Stücke erleichtern die Auswahl bei späteren Suchvorgängen. Für die notwendigen Hintergrundinformationen zur Herkunft der Stücke kommen an dieser Stelle auch noch einmal die alten Inventarbücher als Quellen ins Spiel. Oft ist echte Detektivarbeit nötig, wenn beispielsweise eine Inventarnummer auf einem Objekt nicht mehr richtig lesbar ist, die Information auf dem beigefügten Fundzettel nicht zur Inventarnummer passt oder ein Objekt nicht aufzutreiben ist, obwohl es im Inventarbuch erwähnt wird. Aber davon ein anderes Mal…
Viele archäologische Funde werden einzeln in die Datenbank aufgenommen; manchmal ist aber auch eine Massenerfassung gleichartiger Dinge möglich. Doch auch in diesen Fällen muss vorher überprüft werden, ob sich nicht doch noch ein andersartiges, für die Forschung aussagekräftiges Stück dazwischengemogelt hat. Vielleicht befindet sich ja z. B. noch ein verziertes Knochengerät in einem Karton voller unverzierter Tonscherben?
Um sinnvoll mit der Datenbank arbeiten zu können, ist es wichtig, möglichst schnell einen möglichst großen Teil des Bestandes zu erfassen, dabei aber die für eine zielgerichtete Suche notwendigen Qualitätsstandards einzuhalten. Bei derzeit schätzungsweise 1,8 Millionen archäologischen und stadtgeschichtlichen Objekten im Bestand des AMH – und die Sammlung wächst ja weiter – gibt es da noch eine Menge zu tun!
Aber schon jetzt vereinfacht unsere Sammlungsdatenbank die alltägliche Arbeit im Depot wesentlich. Viele Objekte lassen sich bereits für Leihanfragen oder Ausstellungen recherchieren. Und sicherlich werden Interessierte auch irgendwann im Internet zumindest in Teilen unserer Sammlung stöbern können. Vor allem aber werden die Museumsbesucher in Zukunft noch den einen oder anderen Schatz in einer Ausstellung bewundern können, den wir im Zuge unseres Inventarisierungsprojektes im Magazin gehoben haben.
Projekt digitale Inventarisierung am AMH