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Feuchte Füße – damals und heute

Die Grabung auf der Reichenstraßeninsel 2019/2020

Wer im Verlauf der letzten acht Monate in der Hamburger Altstadt den Hopfensack Richtung Meßberg entlang lief, wird rechter Hand eine tiefe Baustelle gesehen haben, in der die meiste Zeit über ein großes weißes Zelt stand (27 x 15 m). Viele fragten sich, was im Zelt wohl vor sich geht? Zumindest konnte man das im Vorbeigehen oft hören, wenn die Passanten die Informationstafel des Archäologischen Museums Hamburg noch nicht entdeckt hatten. Es fand eine archäologische Ausgrabung mit 13 Mitarbeitern statt. Warum? Weil hier ein zehngeschossiges Hotel mit einer Tiefgarage, die 9 m unter Straßenniveau reicht, gebaut werden soll und der Untergrund Reste der Stadtgeschichte Hamburgs birgt.

Die Karten und Schaubilder verorten die Grabung auf der Reichenstraßeninsel jeweils im Früh- und Spätmittelalter.

Ab unter die Oberfläche

Die archäologischen Arbeiten begannen bei einer Höhe von 2,80 m ü. NHN, das ist vom Hopfensack aus gesehen 2,20 m unter Straßenniveau, und reichten an den tiefsten Stellen bis -1,32 m ü. NHN. Generell wird auf Ausgrabungen soweit nach unten gegraben, bis der natürliche, vom Menschen unberührte Boden kommt. Da der anstehende Boden für einen Nicht-Geologen nicht immer so einfach zu erkennen ist, gruben wir eben stellenweise etwas tiefer. An einer Stelle konnte er bei ca. -0,20 m ü. NHN erfasst werden.

Grabung Willy-Brandt-Str. von oben
Die Grabung an der Willy-Brandt-Straße von oben.

Maßnahmen gegen nasse Füße

Heute bemerkt man es vielleicht nicht mehr, aber das Grabungsareal liegt auf einer Insel, auf dem östlichen Zipfel der einst von Wasserläufen umflossenen Reichenstraßeninsel in der Elbmarsch. Vor 1200 lag das Bodenniveau auf ca. 0 m ü. NHN, sodass die Insel regelmäßig überspült wurde. Um hier siedeln zu können, was ab 1200 historisch belegt ist, musste das Niveau zuerst angehoben werden. Denn wer hat schon gerne nasse Füße? Dies bewerkstelligten die Menschen damals mit Aufhöhungsschichten aus Klei, die 40-80 cm mächtig waren, und Zweiglagen dazwischen, die einerseits das Abrutschen auf dem feuchten Klei verhindern und andererseits dem Konstrukt auch Stabilität verleihen sollten. Außerdem wurden sie als erste Laufhorizonte genutzt.

Hinweise für eine solche Nutzung sind Gegenstände wie zerbrochene Gefäße aus dem Spätmittelalter, mehrere Münzen, eine silberne Gewandschließe sowie Gürtel- und Gewandapplikationen, die zeitlich in etwa von 1200-1400 einzuordnen sind. Zahlreiche Kalfatklammern, die zum Schiffsbau gehören, wurden hier auch gefunden. Interessanterweise sieht diese Aufhöhung in der benachbarten Parzelle etwas anders aus; dort versuchte man, dem kleiigen Untergrund durch eine umfassende Spaltbohlenwand Standfestigkeit zu verleihen. Die Vorgehensweise war also pro Grundstück individuell.

Kleine Ausgrabungsfunde: ein Wasserhahn, eine von vielen Scherben und ein Spielwürfel. © AMH, Foto: Bent Jensen

Bodenschichten

Wir befinden uns um 1200 außerhalb der Stadtmauer Hamburgs. Im Zuge der Stadterweiterung wurde der Bereich planmäßig kolonisiert und eine Kaufmannssiedlung angelegt. Die Kaufleute hatten freien Zugang zur Elbe von Hamburg bis zur Mündung.

Oberhalb dieser oben erwähnten Aufhöhungen konnten innerhalb von Fachwerkhäusern mehrere gestampfte Lehmfußböden erfasst werden, die immer wieder erneuert werden mussten. Denn wenn Feuchtigkeit aus dem Untergrund hochzog, wenn der Boden absackte oder zu viel Schmutz auf ihm lag, wurde einfach ein neuer Lehmfußboden darüber angelegt. Diese dunklen Schichten aus Asche, Holzkohle, Essensresten und hereingetragenem Schmutz bilden im Wechsel mit den ockerfarbenen Fußböden im Querschnitt ein auffälliges, fast hübsches Streifenmuster, das dem Grabungsbesucher meist sofort ins Auge fiel.

Grabungsarbeiten Willy-Brandt-Str.
Sabine Schippers und Ghassan Aloda beim Messen. Im Hintergrund: Zweiglagen der Aufhöhung und der Querschnitt durch eine Ziegelmauer des 15. Jh. © AMH, Foto: Bent Jensen

Archäologie mit allen Sinnen

Wer das Zelt betrat, konnte die historischen Böden auch förmlich riechen. Denn es wurde auch eine Kloake angeschnitten, die früher wohl als Fäkal- aber auch als Abfallgrube diente. Und diese Schichten riechen bis heute.

Herausforderungen auf der Grabung: die geruchsintensive Kloake und immer nasse Füße. © AMH, Fotos: Bent Jensen

Die feuchten Füße hatten die Mitarbeiter der Ausgrabung leider ebenso, da wir auf dem Baustellenareal immer am tiefsten Punkt waren und sich das Wasser, auch das neu hinzukommende Regenwasser, immer dort sammelte. Wir versuchten mit insgesamt sieben Pumpensümpfen und Gräben um das Grabungszelt herum Herr der Lage zu werden, was je nach Wetterlage ganz gut gelang.

Autorin

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Judith Kirchhofer

Grabungsleiterin am AMH