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Die Lizenz zum Fliehen! – Fluchtutensilien des Zweiten Weltkrieges

Während des Zweiten Weltkrieges befasste sich eine ganze Abteilung des britischen Geheimdienstes mit der Rettung und Befreiung von über „Feindgebiet“ verloren gegangenen Soldaten. Nicht selten gehörten diese der Royal Air Force oder anderen Spezialeinheiten an. Jedoch wurde auch viel Energie in die Befreiung von Internierten gesteckt. Der Name dieser Institution war MI9 und sie unterlag dem „War office“.

Christopher Hutton, ein ehemaliger Flieger hatte selber Kampf-Erfahrung und wurde vom Kriegsministerium zum Geheimdienstoffizier ernannt. Er konzipierte diverse Gegenstände, die den Zurückgebliebenen und Gefangengenommenen eine Heimkehr hinter die eigenen Linien ermöglichen sollten. So wurden hauptsächlich Gegenstände erfunden, die dem Einzelnen bei völliger Desorientierung und Abgeschlossenheit zu den eigenen Truppen halfen. Hierfür eigneten sich primär Kompasse und Karten, denen es einer Tarnung bedurfte. Es entstanden vermehrt aufschraubbare Gegenstände, die kleine Geheimfächer beinhalteten. Diese waren gerade so groß, dass ein kleiner Kompass darin Platz fand. Außerdem wurden Kleidungsstücke hergestellt, in denen Karten in die Zwischenpolster genäht wurden. Sie waren auf Seide gedruckt, weil diese nicht knisterte und bildeten das jeweilige Einsatzgebiet großflächig ab.

Fluchtsäge - Foto: Torsten Weise

Mit zunehmendem Kriegsverlauf entstanden immer ausgeklügeltere Fluchthilfen, darunter unter anderem magnetisierte Rasierklingen, die sich auf eine Wasseroberfläche legen ließen und als Kompass genutzt werden konnten. Außerdem sogenannte Fluchtwesten, die sich zügig zu einem dünnen, aber belastbaren Seil auflösen ließen, extrem scharfe Klappmesser in Münzen oder aber auch nadeldünne Dolche, die in Stiften oder Pfeifen verborgen waren. Sogar ein Stift, der Pfeile verschießen konnte, wurde entwickelt.

Bei der dreimonatigen Prospektion einer Absturzstelle eines britischen Wellington-Bombers, durch drei ehrenamtliche Sondengänger, konnten drei dieser Fluchtutensilien entdeckt werden.

Fluchtkompass in Knopfoptik - Foto: Torsten Weise
Fluchtkompass in Knopfoptik - Foto: Torsten Weise

Geborgen wurde ein Fluchtkompass in Knopfoptik, der sich in einem gummierten Taschenrest befand, eine Packung magnetisierter Rasierklingen der Marke „Gillette“ und eine Fluchtsäge. Während der Kompass lediglich als Vierlochknopf getarnt ist und durch Leuchtfarbe-Markierungen auch im Dunkeln verwendbar war, ist die Säge eine Art Multitool gewesen. Sie wurde in einen Gummistreifen eingegossen, der sie nicht nur verbergen, sondern gleichzeitig auch vor äußeren Einflüssen und somit vor allem vor Korrosion schützen sollte. Außerdem wurde sie aus gehärtetem Stahl hergestellt und besitzt eine feine Zähnung, die es ermöglichte Metall zu durchtrennen. Zudem wurde auch sie magnetisiert und konnte in der Gummiummantelung auf eine Wasseroberfläche gelegt werden, was sie ebenfalls als Kompass nutzbar machte. Der Fund dieser kleinen Werkzeuge ist außerordentlich selten und stellt einen guten Einblick in die Geschichte der Spionagetechnik dar.

Taschenrest - Foto: Torsten Weise

Diejenigen, die gerade beim Lesen dieses Beitrags an „James Bond“ denken mussten, liegen im Übrigen gar nicht so falsch. Die Fluchtinstrumente und Geheimdienstaktivitäten des MI9 dienten in späterer Zeit tatsächlich als Vorlage. Auch der fiktive Tüftler „Q“ der Romanreihe soll an Hutton angelehnt sein.

Autor

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Ole Uecker

Grabungstechniker am AMH