Hamburg von oben – Ein historischer Rundflug
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Nein, besonders abenteuerlich oder gar gefährlich ist die Arbeit im Archäologischen Zentralmagazin Hamburg in der Regel (zum Glück!) nicht. Spannend aber schon. Wir jagen nicht durch den Urwald auf der Suche nach goldenen Schätzen, sondern sitzen gemütlich am Schreibtisch oder streifen an Regalen entlang, während wir versuchen, ein Steinbeil, einen Spinnwirtel oder einfach nur ein paar unscheinbare Scherben wiederzufinden. Diese Recherchearbeit ist ein ganz wichtiger Teil der Arbeit unseres Inventarisierungsteams und soll an dieser Stelle mit all ihren Facetten einmal etwas genauer vorgestellt werden.
Ein Blick in die Akten, ein Abgleich mit den alten Kartons im Regal, die Beschriftung stimmt, alles da, Funde digital in der Sammlungsdatenbank erfassen, neu verpacken, fertig. Oft besteht unsere Arbeit aus unspektakulärer Routine. Hin und wieder fühlt man sich zwischendurch aber auch wie ein Meisterdetektiv – dann nämlich, wenn eben nicht alles da ist, was eigentlich da sein müsste.
Und damit beginnt die Suche: Haben wir etwas übersehen? Wurde ein Karton unsauber eingeordnet und verbirgt sich nun im Nachbarregal? Könnte sich das fehlende Stück in einer Ausstellung befinden? Sollte ein erstes Sichten der unmittelbaren Umgebung erfolglos geblieben sein, geht die eigentliche Spurensuche los. Fehlt ein bedeutendes, ein ausgesprochen schönes und gut erhaltenes Stück? Dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es als Exponat in einer Ausstellung ist. Wenn es sich dabei um die eigene Dauerausstellung handelt, kann der Fall durch einen Blick in die Ausstellungsdokumentation schnell gelöst werden. Wenn nicht, müssen die Leihverträge, notfalls der letzten Jahrzehnte, überprüft werden, um den derzeitigen Verbleib – vielleicht als Dauerleihgabe in einem Stadtteilmuseum? – zu klären.
Führt dieser Weg nicht zum Erfolg, sind die kleinen grauen Zellen erneut gefordert, denn dann spricht vieles für eine falsche Einsortierung irgendwo an einer anderen Stelle im Magazin. Allerdings geschieht ein solcher Fehler glücklicherweise in den seltensten Fällen willkürlich – denn damit wäre das Objekt fast unauffindbar und könnte nur durch Zufall entdeckt werden –, sondern das Fundstück ist an der vermeintlich absolut richtigen Stelle abgestellt worden. Für seine Wiederentdeckung muss also der mögliche Gedankengang beim letzten Wegsortieren nachempfunden werden. Gibt es einen Ortsnamen vielleicht in identischer oder ähnlicher Schreibweise ein zweites Mal? Oder haben sich Gemarkungs-, Stadtteil- oder Ländergrenzen geändert, so dass das vermisste Fundstück einem alten, nicht mehr gültigen Fundort zugeordnet wurde?
Bei den zunächst vermissten Funden aus Panten, heute Kr. Herzogtum Lauenburg, handelt es sich um ein paar unscheinbare Scherben von einer slawischen Burganlage, die wegen ihrer Lage im Ortsteil Hammer früher auch als „Hammerburg“ bekannt war. Da war schnell klar, wo wir suchen konnten. Und tatsächlich wurden wir beim Fundplatz HH-Altstadt 35 fündig – dahinter verbirgt sich nämlich die „Hammaburg“. Foto: Torsten Weise
Jedem Verdacht wird mit einer Ortsbesichtigung des entsprechenden Regals nachgegangen. Jeder Stein wird umgedreht (und das oft im wahrsten Sinne des Wortes!), jeder Karton hervorgeholt. In den allermeisten Fällen ist das gesuchte Stück am Ende wieder da und kann nun genau da eingeordnet werden, wo es hingehört.
Wer Lust auf noch mehr Detektivarbeit hat, kann sich im Bereich „Fundort unbekannt“ austoben. Hier lagern Funde, deren Herkunft tatsächlich unbekannt oder aber ungeklärt ist. Manch ein Objekt wird erst Jahrzehnte nach seiner Entdeckung von einem Sammler oder dessen Nachkommen ins Museum eingeliefert. Nach so einer langen Zeit sind die Informationen zu den Fundumständen bisweilen vergessen. Gelegentlich finden sich im Depot auch gänzlich unbeschriftete Artefakte ohne Begleitzettel. Vielleicht ist dieser im Laufe von Jahrzehnten, bei Umzügen oder während des Krieges verlorengegangen, zu manchen Stücken hat es vermutlich auch nie einen gegeben. In solchen Fällen ist die Zuordnung zu einem eindeutigen Fundort nahezu unmöglich.
Ein Großteil der an dieser Stelle aufbewahrten Stücke lässt sich mit genauem Hinsehen, etwas Phantasie und akribischer Recherche am Ende aber doch wieder konkreter einordnen. So können auf einem vermeintlich unbeschrifteten Objekt durchaus noch Buchstaben zu entdecken sein, aus denen sich im besten Fall ein Ortsname entziffern lässt. Allerdings ist die Herkunft damit gerade bei älteren Funden oft noch längst nicht geklärt, denn eine fehlgedeutete Buchstabenfolge kann auch in eine falsche Richtung weisen, oder es wurde ein alter, heute nicht mehr gebräuchlicher Name verwendet. Also beginnt die Recherche, wie heutzutage üblich am PC mit der Suche nach der vermeintlichen Ortsbezeichnung. Fehlen eindeutige Treffer, folgt der nächste Schritt: „Was könnte das denn noch heißen?“ Buchstaben werden verändert, vorgeschlagene Ergebnisse überprüft. Manchmal klappt es am Ende dann tatsächlich: Einen Ortsnamen, der mit der Objektbeschriftung in Einklang zu bringen ist, gab oder gibt es wirklich, und – auch das ist für eine sichere Zuweisung wichtig – der ermittelte Ort passt auch aus archäologischer Sicht zu dem vorliegenden Fundstück.
Immer wieder kommt es auch vor, dass eine ehemals auf einen Fund aufgetragene Inventarnummer abgeplatzt, aber noch teilweise als Schattierung zu erkennen ist. Aus den lesbaren Fragmenten können mögliche Zahlenkombinationen entwickelt werden. Statt digital im World Wide Web wird nun ganz analog in den alten Inventarbüchern weitergeforscht. Gibt es die vermutete Nummer überhaupt? Fehlt vielleicht eine Ziffer? Und passt die Beschreibung im Buch zum vorliegenden Objekt? Stimmen die Maße, gibt es möglicherweise sogar eine Skizze, mit der das Stück abgeglichen werden kann? Oft braucht es mehrere Anläufe bis zum Erfolg, aber wenn das Original letztendlich doch wieder eindeutig angesprochen werden kann, ist die Freude umso größer!
Der kleine, etwa 4.000 Jahre alte Feuersteindolch konnte zunächst keinem Fundort zugewiesen werden, zumal die aufgetragenen Zahlen nicht wie eine im Museum benutzte Inventarnummer aussahen. Ein bisschen Recherche in den Inventarbüchern brachte aber doch die Lösung. Es handelt sich um das Objekt mit der Nummer MfV 1910.8 aus Hemmoor-Westersode, Kr. Cuxhaven. Foto: Torsten Weise
Kleine Highlights bei der täglichen Arbeit sind die Entdeckungen von Schätzen, die wir gar nicht gesucht haben, weil wir überhaupt nichts von ihrer Existenz wussten. Im Rahmen unserer Inventarisierungsarbeit stehen wir oft vor Kartons, die seit Jahren oder sogar Jahrzehnten niemand mehr in der Hand hatte, gefüllt mit Scherben, Knochen oder Feuersteinabschlägen. Natürlich ist es unsere Aufgabe, diese Kartons komplett durchzusehen und die Funde vor der Erfassung in der Sammlungsdatenbank gegebenenfalls nach verschiedenen Merkmalen zu klassifizieren. Das ist in den allermeisten Fällen eine sehr unspektakuläre, bisweilen auch wenig erbauliche Tätigkeit, wenn über mehrere Regalmeter hinweg ein Karton nach dem anderen nichts enthält außer unverzierten Wandscherben, unbearbeiteten Knochenabfällen oder Ziegelbruchstücken. Alles Objekte, die in ihrer Gesamtschau für die Auswertung eines vorgeschichtlichen Fundplatzes wichtig und aussagekräftig sind, als Einzelstücke aber eher unattraktiv.
Und dann ertönt plötzlich doch ein freudiges „Wie schön!“ aus einem der Büros, wenn sich in einem Karton ein überraschendes Kleinod verborgen hat. Gut, vermutlich wird nicht jeder diese Begeisterung immer teilen können, denn bei den entdeckten Schätzen handelt es sich nach landläufigem Verständnis in der Regel nicht wirklich um Preziosen. Aber wir können uns für eine verzierte Randscherbe zwischen lauter unverzierten Wandscherben, ein ornamentiertes Kammfragment inmitten von unbearbeiteten Knochen oder ein sorgfältig retuschiertes Werkzeug in einem Karton voller Feuersteintrümmer wirklich begeistern nicht zuletzt, weil wir diese Stücke, die bisher in der Masse untergegangen waren, als erste erkennen und wissenschaftlich einordnen dürfen.
Besonders groß ist die Freude, wenn ein Stück, das offiziell bereits als verloren galt, dank unserer Arbeit doch wieder auftaucht. Einen besonderen Erfolg konnten wir vor einigen Jahren verbuchen. Und damit zugleich einen echten Kriminalfall abschließen, denn die Auffindung des entsprechenden Objektes in Hamburg-Altengamme führte 1931 zu einem Polizeibericht.
Bei unserem “Cold Case” handelt es sich eigentlich wieder einmal um ein eher unscheinbares Stück, nämlich eine Urne aus Ton. Die Bedeutung des Falls liegt in der dazugehörigen Grabbeigabe: Der seltene und wertvolle, zudem sehr gut erhaltene sogenannte Holsteiner Gürtel aus der Vorrömischen Eisenzeit, eines der bedeutendsten Objekte in der Sammlung des Archäologischen Museums Hamburg, lag zusammen mit den Knochenresten einer 25- bis 40-jährigen Frau in der Urne. In der Dauerausstellung ist dieser mehr als 2.000 Jahre alte prächtige Gürtel im Original zu bewundern.
Während der Gürtel immer da war, galt die dazugehörige Urne lange als verschollen, wie aus Veröffentlichungen aus den letzten Jahrzehnten hervorgeht. Beim Durchsortieren der aus Altengamme vorhandenen Urnen im Zuge der digitalen Inventarisierung fanden wir aber auch dieses Gefäß vor und konnten nach umfangreichen Abgleichen mit der Inventarnummer sowie alten Abbildungen und Beschreibungen sicher sein, den „verlorenen Topf“ in Händen zu halten.
Wo er sich zwischenzeitlich so gut versteckt hatte, dass er jahrzehntelang als verloren galt, wird allerdings sein Geheimnis bleiben…
Projekt digitale Inventarisierung am AMH
Für alle verwendeten Bilder und Scans gilt © Archäologisches Museum Hamburg.