1975 – Harburg vor 50 Jahren
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Im Mai 2024 wurde beim Setzen eines neuen Regenwasserschachtes im Vorgarten des Büros der Kirchengemeinde Pattensen ein eigentümlicher Münzhort entdeckt. Er bestand aus 1038 Münzen, die in einer Tiefe von 1,2-1,5 m entdeckt wurden – nach Aussage der Bauarbeiter wohl in einem Körbchen, denn die Münzen lagen inmitten einiger kleiner geschälter Pflanzenstiele. Aus der Baugrube wurde außerdem etwas Fundmaterial geborgen, das in der Zusammensetzung einer spätneuzeitlichen Abfallschicht entspricht. Auf einem historischen Foto des alten Pfarrhauses, das ehemals am Standort des heutigen Gemeindebüros stand, ist zu erkennen, dass der Fundort auch zum Zeitpunkt der Vergrabung schon außerhalb eines Gebäudes lag.
Die Münzen lagen zum Teil lose, zum Teil waren sie miteinander verklumpt. Es handelt sich um Prägungen aus Kupfer und Zink bzw. Aluminium, der Prägezeitraum liegt zwischen 1918 und 1921. Das ergab die Bearbeitung durch den ehrenamtlichen Detektorgänger Matthias Meyn. Demnach verteilen sich die Münzen wie folgt auf die einzelnen Stückelungen: 5 Reichspfennig (4 %), 10 Reichspfennig (95 %), 50 Pfennig (1 %), 1 Stück Lüneburger Notgeld. In Summe liegen 105 Reichsmark vor.
Trotz der großen Zahl an Münzen kann man hier offenbar nicht von einem Schatz sprechen, insbesondere nicht vor dem historischen Hintergrund. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs stieg die Inflation im Deutschen Reich zunehmend an, ein Prozess, der durch die im Versailler Friedensvertrag festgeschriebenen Reparationen Deutschlands an die Siegermächte dann massiv beschleunigt wurde. Im Oktober 1921 war der Wert der Mark gegenüber dem Sommer 1914 bereits auf ein Hundertstel gesunken (Quelle: Wikipedia, Stichwort Deutsche Inflation 1914 bis 1923), und dieser Prozess beschleunigte sich im Verlauf der Jahre 1922 und 1923 immer stärker. Im Juli 1923 kostete ein US-Dollar bereits eine Million Mark, im November 1923 groteske 4,2 Billionen (!) Mark. Der Verfall der Währung konnte erst im November 1923 mit der Einführung der Rentenmark gestoppt werden.
Für unseren Pattenser Münzhort ergab sich nun die Frage, wie das Ganze zu bewerten sei. Handelte es sich um den vergrabenen Notgroschen der Pfarrfamilie oder des Hausmädchens? Hatte jemand, gar der Pastor selbst, die Kollekte geplündert? Hatte das Pastorat das Geld während der großen Inflation, in der Hoffnung auf bessere Zeiten, als Rücklage vergraben, um es später wieder zu nutzen?
Die von Pastorin Ann Kristin Grundmann betriebene Recherche begann beim Archiv der Landeskirche. Die Kirchlichen Rentämter, die Vorgänger der heutigen Kirchenkreisämter, entstanden frühstens in den 1930er Jahren. Vorher verwalteten die Kirchengemeinden alle Gelder selbst. Die vergrabenen Münzen müssen also aus der Kirchengemeinde Pattensen stammen. Aber welchen Zweck hatten sie? Dazu meint Prof. Dr. Johann Anselm Steiger von der Theologischen Fakultät Fachbereich Christentumsgeschichte und Historische Theologie in Hamburg: „um vergrabene Rücklagen dürfte es sich kaum handeln, denn die hätten aus Goldmünzen des Kaiserreichs oder zumindest aus Silbermünzen bestehen müssen. Der Materialwert der gefundenen Münzen ist ja absolut unerheblich. Wegen der kleinen Stückelung liegt natürlich der mögliche Verdacht nahe, dass hier Kollekten veruntreut und (aus welchen Gründen auch immer) vergraben wurden. Nach der Hyperinflation 1923 und der Währungsreform hatte der vergrabene ‚Schatz‘ allerdings keinerlei Wert mehr und blieb, wo er war, weil seine ‚Hebung‘ nicht lohnte.“ Also keine vergrabenen Rücklagen. Aber eine unterschlagene Kollekte?!
In den Pattenser Kirchenvorstandsprotokollen der Jahre 1922 bis Ende 1924 finden sich keine Hinweise auf Probleme mit den gesammelten Kollekten. Da bis zum 31.5.1925 Superintendent Rüppel in Pattensen im Amt war, war zudem durchgehend eine Aufsicht über die Kollekten vorhanden. Das älteste erhaltene Protokoll einer Gemeindevisitation aus dem Jahr 1928 unter Pastor Henke hält die sorgfältige und zuverlässige Arbeitsweise des Kirchenvorstandes in jenen Jahren fest. Beschwerden aus der Gemeinde, fehlende Gelder oder ungereimte Abrechnungen werden an keiner Stelle erwähnt, was im Rahmen der Kirchlichen Aufsichtspflicht in der Visitation an dieser Stelle sonst erwähnt werden müsste. Die These, dass die gefundenen Münzen eine unterschlagene Kollekte sein könnten, scheidet somit aus.
Auf der Seite 25 des Visitationsberichtes findet sich dann noch der Hinweis, dass es zwei eiserne Geldschränke, einen im Pfarramt und einen beim Kirchenrechnungsführer, gab, in denen die Wertpapiere der Kirchlichen Kassen verwahrt wurden. Die finanziellen Werte der Gemeinde wurden also in Form von Wertpapieren aufbewahrt und entsprechend verwaltet. Das erhärtet noch einmal die Annahme, dass es sich bei den Münzen nicht um vergrabene Rücklagen handeln kann.
Peter Dederke, Heimatforscher aus Pattensen, gelingt schließlich der entscheidende Durchbruch in der Recherche: In § 15 Abs. 2 des Münzgesetzes vom 30.8.1924 (Reichsgesetzblatt 1924 II, S. 254 ff.) wurde folgendes bestimmt: „Die auf Grund der früheren Gesetze ausgeprägten Reichsmünzen aus Nickel, Aluminium, Eisen und Zink werden außer Kurs gesetzt und gelten nicht mehr als gesetzliche Zahlungsmittel. ….“
Die gefundenen Münzen waren also nach Inkrafttreten des vorstehenden Gesetzes ungültig und nichts mehr wert. Alle mit der Hortung verbundenen Hoffnungen waren für immer dahin. Warum der Eigentümer die Geldstücke im Gemeindegarten vergrub statt sie einfach wegzuwerfen, bleibt ein Rätsel – so wie manches menschliche Handeln.
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